Reisenburg-Tagung 2008

Verbraucherschutz in der Finanzdienstleistung – im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Vertrauen

Schloss Reisensburg, 01./02.10.2008

  • Karl-Heinz Oehler: Entwicklungstendenzen im Verbraucherschutz – Versuch einer Prognose

  • Hermann-Josef Tenhagen: Welche Rankings (von FDL-Produkten) braucht der Kunde?

  • Ferdinand Haas: Versicherungswirtschaft und Fondsindustrie: Antithese oder Synthese?

  • Alexander Schramm: Transparenz als zentraler Marketing-Faktor im Fast-Food?

  • Bertram Valentin: Transparenz – Lektionen made in UK

  • Karl Matthäus Schmidt: Kann es Transparenz im Bankgeschäft geben?

Zusammenfassung

Mit den nach Finanzmarktkrisen und verlorenem Vertrauen der Bevölkerung in das Bankenwesen zurzeit brandaktuellen Themen Transparenz und Verbraucherschutz in der Finanzdienstleistungsbranche beschäftigten sich am 01. und 02. Oktober 2008 rund 50 Vorstände und Führungskräfte von Banken, Investmentgesellschaften und Versicherungen im Wissenschaftszentrum Schloss Reisensburg der Universität Ulm. Die Tagung wurde vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm (ifa) gemeinsam mit der Universität Ulm veranstaltet. In diesem Jahr beleuchteten sechs hochkarätige Referenten das Tagungsthema aus unterschiedlichen Richtungen: Die Blickwinkel reichten von den Aufgaben der Legislative über die Rolle von Presse und Verbraucherschützern bis hin zu Beispielen, wie sich Unternehmen diesen Anforderungen stellen.

Der einleitende Vortrag von Karl-Heinz Oehler, Bundesministerium der Justiz, beleuchtete die gesetzlichen Entwicklungen im Verbraucherschutz, die sich am Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Bürger orientieren. Obwohl es noch keine einheitliche Grundlage auf europäischer Grundlage gibt, wird das Verbraucherrecht in Deutschland zunehmend stärker durch europarechtliche Vorgaben, auch durch unmittelbar anwendbares Europarecht geprägt werden. Die Errungenschaften des Gemeinschaftsrechts, insbesondere ausreichende Informationspflichten vor dem Vertragsschluss und das auf Europaebene präferierte Widerrufsrecht dürften weiter an Bedeutung gewinnen. Auch das auf das Handeln von Kaufleuten bezogene Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb hat den Verbraucher zur Kenntnis genommen. Die Erweiterung des Widerrufsrechts als Reaktion auf Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht zeigt eine Tendenz zu einer Verschränkung beider Rechtsgebiete. Zielkonflikte (Verwirklichung des Binnenmarktes vs. hohes Niveau des einzelstaatlichen Verbraucherschutzes; Vollharmonisierung vs. Vereinfachung der rechtlichen Vorgaben) werden zudem noch deutlicher hervortreten.

Die wachsende Bedeutung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge führte bereits zu zunehmenden Anforderungen an den Verbraucherschutz und Transparenz durch den Gesetzgeber. Dies ist jedoch noch nicht abgeschlossen, sondern wird in der Zukunft mit den Einschnitten in die sozialen Sicherungssysteme, z.B. bei der gesetzlichen Berufsunfähigkeitsabsicherung, Renten- und Krankenversicherung, und der Verstärkung der privaten Vorsorge noch mehr an Bedeutung gewinnen. Beim Aufbau des Wissens, welche Lücken bestehen, welches Produkt zur Abdeckung bestimmter Lücken geeignet ist und welche Eigenschaften ein für den persönlichen Bedarf des Verbraucher sinnvolles Produkt hat, sieht Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur Finanztest, wichtige Aufgabe von Verbraucherschutzorganisationen wie Finanztest. Verbraucherinformation, Komplexitätsreduzierung und Vergleichbarkeit bei der Darstellung von Produkten stehen dabei im Vordergrund.

Ausgehend von der Fragestellung, ob Fondsgesellschaften und Versicherungen zwei unterschiedliche Welten darstellen, begegnete Ferdinand Haas, Managing Director der DWS, dem Tagungsthema mit dem Fokus auf Kundenschutz und Kostentransparenz bei Fonds. Eine Gleichrichtung der Interessen von Fondsgesellschaft und Fondskunde ist durch gesetzlichen Auftrag, durch die weitestgehende Transparenz der Kosten und dem im Gegensatz zur Investmentbank nicht rein kurzfristigen Profitabilitätszielen schon in hohem Masse gegeben. Kommen der wachsende Bedarf an Altersvorsorgeprodukten mit der Nachfrage der Kunden nach biometrischen und finanziellen Garantien, aber auch höheren Renditeerwartungen (CPPI, Variable Annuity) zusammen, so sind Versicherungen und Fondsgesellschaften quasi zur Heirat verdammt.

Man kann Kundenvertrauen schaffen bzw. zurückerobern, aber es dürfen nicht nur Einzelmaßnahmen sein oder reines Lippenbekenntnis. Transparenz muss strategische Unternehmensziel werden und den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Dies war gemeinsame Kernaussage zweier Vortragender aus zwei völlig verschiedenen Branchen: Systemgastronomie und Lebensversicherung:

Alexander Schramm, Director Corporate Affairs McDonald’s Deutschland, berichtete von der Refokussierung seines Unternehmens nach Krisen wie BSE und Fettleibigkeit bei Kindern in den Jahren 1999-2002. Die Maßnahmen bei der Neupositionierung reichten von einer geänderten Kundenkommunikation bei neuen Werbeauftritten und Designs, einer Veränderung der Produktpalette und -rezeptur und der Einführung von Transparenz als Unternehmensstrategie. Das Beispiel der McDonald’s Qualitätsscouts nutzte Herr Schramm, um die verbesserte Transparenz bei Herkunft, Sicherheit und Frische der Produkte seines Hauses zu veranschaulichen.

Aus den Entwicklungen des britischen Altersvorsorgemarktes der letzten 15 Jahre arbeitete Bertram Valentin, Managing Director Standard Life Deutschland, zwei Kardinalfehler beim Verbraucherschutz heraus: Erstens wurde mit dem Fokus auf den Vertrieb der Kunde mit seinen Bedürfnissen aus den Augen verloren. Zweitens ging die Branche mit dem nach diversen Skandalen und Fehlberatungen einsetzenden Regulierungsprozess nur mit, statt ihm vorauszugehen. Massive Marktkonsolidierungen sowohl auf Anbieter wie auch auf Vermittlerseite, Veränderungen der Wertschöpfungskette und eine generelle Unterversorgung in Bezug auf die Altersvorsorge bei den unteren Einkommensschichten waren die Folge. In Übertragung auf den deutschen Altersvorsorgemarkt finden die Kosten von Versicherungsprodukten zu wenig Beachtung, der Gesetzgeber hat dies zwar erkannt, aber nicht wesentlich verbessert. Für die Branche besteht damit die Chance durch weitestgehende Kostentransparenz Kundenvertrauen zu gewinnen. Am Beispiel seines eigenen Hauses stellte Herr Valentin die Kenngröße „Reduction in Yield“ (RIY) vor, die angibt, um wie viel % sich eine Brutto-Fondsentwicklung durch Kosten (egal ob aus Fonds oder Versicherung) reduziert. Trotz anfänglicher Rückläufe beim Neugeschäft nach der Einführung des RIY, sei aus seiner Sicht Transparenz die stabilste Grundlage für Kundenvertrauen und wird zunehmend Differenzierungsmerkmal sein.

Vertriebsprozesse mit komplexen, oft hauseigenen Produkten, hohen Margen und versteckten Kosten und das Interesse des Kunden an angemessenen Renditen stellen einen klaren Zielkonflikt zwischen Bank und Kunde dar. Dem Vertrauensaufbau mit einfachen, transparenten Produkte und einen offenen Umgang zwischen Bank und Bankkunde hat sich Karl Matthäus Schmidt, Vorstandssprecher der quirin bank AG, verschrieben, der das Geschäftsmodell seiner Bank als „Anwalt des Kunden“ anschaulich darstellte: reine Finanzierung über Honorar bzw. Erfolgsbeteiligung (monatlicher Kostensatz inkl. aller Transaktionen, Beteiligung am Erfolg der Vermögensverwaltung). Es verbleiben keine Einnahmen aus vermittelten bzw. verkauften Produkten bei der Bank.

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