Reisenburg-Tagung 2007

Neue Wege zum Kunden – Alternative Vertriebsformen in der Finanzdienstleistung

Schloss Reisensburg, 11./12.10.2007

  • Hans-Jürgen Kräh und Robert A. Wieland: Braucht und will der Kunde alternative Vertriebsformen?
  • Dr. Walter Thießen: Hat die Stammorga eine Zukunft? – Chancen und Perspektiven traditioneller Vertriebe
  • Dr. Bernhard Dyckhoff: Finanzdienstleistungen zur Verlängerung der Wertschöpfungskette
  • Robert Haselsteiner: Die Bedeutung der Technologie für den alternativen Vertrieb
  • Gerd Schulte: Wie funktioniert alternativer Vertrieb mit Partner-Unternehmen?
  • Dr. Michael Meyer: Retailbanking in Deutschland – Schlachtfeld oder Ergebnisquelle?

Zusammenfassung

Am 11. und 12. Oktober 2007 diskutierten im Wissenschaftszentrum Schloss Reisensburg führende Vertreter aus der Finanzdienstleistungsbranche auf der Herbst-Tagung des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) und der Universität Ulm über „Neue Wege zum Kunden  Alternative Vertriebsformen in der Finanzdienstleistungsbranche“. Sechs hochkarätige Referenten beleuchteten dabei das Thema aus unterschiedlichen Richtungen:

„Braucht und will der Kunde überhaupt alternative Vertriebsformen?“ oder: „Hat die Ausschließlichkeitsorganisation eine Zukunft?“ Ansätze wie diese, mitunter auch provokative Fragestellungen, waren entscheidende Aspekte dafür, dass bei dem zweitägigen, seit vielen Jahren etablierten Treffen einmal mehr viele Vertreter der gesamten Finandienstleistungsbranche vertreten waren. Nicht zu vergessen die oft lebhaften Diskussionen, bei denen sich die Manager von Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften ungeachtet ihrer Wettbewerbssituation sehr offen äußerten.

Im einleitenden Vortrag verknüpfte Hans-Jürgen Kräh, Geschäftsführer der TNS Infratest GmbH, Technik und alternativen Vertrieb mit mobilem Banking als zentralem Beispiel. Die Einschätzung als alternativer Vertrieb hängt stark vom Produktspektrum (Bank vs. Versicherung) und der Sichtweise (Unternehmen vs. Kunde) ab und ist deshalb nur in diesem Kontext von klassischen Vertriebsformen abzugrenzen. Wesentlicher Faktor für eine Marktetablierung von alternativen Vertriebsformen ist, dass sie als Möglichkeit zur Zeitersparnis wahrgenommen werden. Alternative Vertriebsformen werden seiner Einschätzung nach zudem nicht zu einer Verdrängung, sondern einer Veränderung der jeweils klassischen Vertriebsformen führen. Vertriebskooperationen werden als Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz zunehmen.

Dr. Walter Thießen fokussierte seinen Vortrag auf die Ausschließlichkeitsorganisation von Versicherungsunternehmen. Ihre Situation ist aufgrund von verschärften Wettbewerbsbedingungen in einem geänderten gesetzlichen Umfeld und den veränderten Anforderungen der Kunden, insbesondere aufgrund eines zunehmend höheren Beratungsbedarfs kritisch. Ohne Veränderungen wird sich der Trend zu Investitionen in andere Vertriebskanäle noch weiter intensivieren. Das bisherige Geschäftsmodell ist an seine Grenzen gestoßen, eine Reorganisation aus seiner Sicht dringend erforderlich. Nach seiner Analyse bedingt ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell für die Ausschließlichkeitsorganisation qualifizierte und ausreichend große Agenturen, die aus Sicht der Agentur unternehmerisch selbständig und aus Sicht des Unternehmens wertorientiert gesteuert werden.

Der Volkswagenkonzern hat einen Wandel von einem reinen Autoproduzenten hin zu einem Anbieter der Leistungsmobilität vollzogen, so Dr. Bernhard Dyckhoff, Leiter Vertriebsmanagement der Volkswagen Bank GmbH. Finanzdienstleistung ist Teil dieses Mobilitätsversprechens: Bereits 1938 wurden mit dem Volkswagen Sparplan erste Schritte in diese Richtung unternommen. Heute stellt die Mobilität die Kernidee der automobilen Wertschöpfungskette dar. Die Rolle der Volkswagen Bank als konzerneigener Finanzdienstleister, wird dabei immer wichtiger: Seit Jahren sinken die Margen bei Produktion sowie Vertrieb/Verkauf. Auch für den Handel stellen Finanzdienstleistungen die einzige stabile Einnahmequelle neben dem Werkstattbetrieb dar. Durch die Einbeziehung von Finanzdienstleistungen in das Mobilitätskonzept sind übergreifende Paketlösungen (z.B. Mobilitätstarif „Fuel only“) mit zusätzlichem Kundennutzen möglich. In Analogie zum vorherigen Vortrag werden aber auch beim Autofachhandel im kommenden Jahrzehnt zu kleine Händler und Händler ohne Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette vom Markt verschwinden.

Die Bedeutung der Baufinanzierung im Retail-Geschäft wurde in den letzten Jahren stark unterschätzt. Dies war Ausgangssituation für die Gründung der Interhyp AG, deren CEO Robert Haselsteiner die Rolle der IT für die alternative Vertriebsform und den Werdegang der letzten Jahre hin zum größten unabhängigen Anbieter privater Baufinanzierung anschaulich darstellte.

Strategische Partnerschaften von Versicherungen mit anderen Unternehmen haben in den letzten Jahren zugenommen, im Vergleich zu England zählt Deutschland bei diesem Thema allerdings als Entwicklungsland. Laut Julian Wicht, Bereichsleiter Marketing der ASSTEL Versicherungsgruppe, eröffnen solche Partnerschaften zusätzliches Marktpotential. Im Fall seines Hauses sichern sie den langfristigen Unternehmenserfolg. Herr Wicht erläuterte an den Beispielen der Kooperationen mit der Direktbank ING-DiBa und mit Tchibo die Steuerungsmechanismen, die derartigen Kooperationsmodellen zugrunde liegen. Dabei ging es auch um den Umgang mit der typischen Situation, dass die Information des Partners (etwa die Werbung auf dessen Website) in der Regel nicht unmittelbar, sondern zeitverzögert zu Vertragsabschlüssen führt. Die kritische Frage von Preisrabatten bei Aktionsvermarktungen wurde ebenfalls diskutiert.

Im letzten Vortrag der Tagung stellte Dr. Michael Meyer, Vorstandsmitglied der Deutschen Postbank AG, einleitend die Situation des deutschen Retail-Marktes und in Folge das Geschäftsmodell der Postbank in diesem Umfeld dar. Rückläufige Margen bei gleichzeitig schwachen Wachstumserwartungen stehen einem bereits starken und weiterhin zunehmenden Wettbewerb gegenüber, der im Wesentlichen über den Preis (Beispiel kostenloses Girokonto) geführt wird. Die Postbank begegnet diesem Marktumfeld als Multikanalbank mit einer breiten Flächenpräsenz über mobilen und stationären Vertrieb, die „einfache und günstige“ Produkte anbietet. Postbank- und Postfilialen werden mit ihrer hohen Kundenfrequenz als Medium der Neukunden-Akquise genutzt. Dies wird verstärkt durch die aggressive Bewerbung von Leuchtturm-Produkten mit über dem Marktdurchschnitt liegenden Konditionen („einfach und günstig“).

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